Wie ist die Idee zu FixDit entstanden?

“In den Niederlanden gibt es jedes Jahr eine ‚Bücherwoche‘. Dann gibt es ein Jahresthema, und es werden immer zwei AutorInnen gebeten etwas dazu zu schreiben. Eine Novelle, welche das Bücherwochengeschenk ist und ein Bücherwochen-Essay. Oft werden männliche Autoren gefragt, doch in einem Jahr lautete das Thema ‘Die Mutter, die Frau’. Als wieder zwei Männer gefragt wurden, sorgte das bei vielen Autoren und Autorinnen für ziemlich viel Empörung. Da haben wir mit einer Gruppe von 30 bis 40 Autoren und Autorinnen gemeinsam einen Brief verfasst. Dieser wurde in der niederländischen Tageszeitung NRC veröffentlicht und von bis zu 500 AutorInnen unterschrieben. Schließlich hat die Bücherwoche versprochen, dafür zu sorgen, dass es zukünftig fifty-fifty aufgeteilt wird, dass also das Bücherwochengeschenk und der Bücherwochen-Essay nicht jedes Mal von einem Mann und einer Frau geschrieben wird, sondern innerhalb von 5 Jahren von genauso vielen Männern wie Frauen. Dass sie darauf achten werden, das war eigentlich der Anfang.””Und dann war da noch die damalige Kultusministerin. Die hatte in einem Interview gesagt, dass alle ihre Lieblingsbücher zufällig von Männern geschrieben wurden. Daraufhin gab es wiederum eine Reihe von SchriftstellerInnen, die sich gegenseitig auf diese Aussage aufmerksam gemacht haben. Schließlich kamen wir tatsächlich mit einer kleinen Gruppe über WhatsApp ins Gespräch und FixDit wurde daraus geboren…. So sind wir auf eine Reihe von Projekten gestoßen.“

Und wie steht es derzeit um die Gleichberechtigung von Autorinnen oder in der Literatur?

“Es hat sich herausgestellt, dass es in der Literatur immer noch große geschlechtsspezifische Unterschiede gibt… Frauen bekommen im Durchschnitt weniger Auszeichnungen, aber auch weniger Unterstützung, und wenn sie ein Stipendium bekommen, fallen sie niedriger aus …. Wir beteiligen uns jetzt mit FixDit an einem größeren europäischen Projekt, für das wir auf europäischer Ebene Fördermittel erhalten haben, um mit deutschen, österreichischen und armenischen Partnern u.a. zu untersuchen, wie es eigentlich genau um die Situation bestellt ist, z.B. in finanzieller Hinsicht… Wie viele Stipendien oder Preise erhalten Schriftstellerinnen im Vergleich zu männlichen Schriftstellern?”“Eine umfangreiche Studie der niederländischen Forscherin Corina Koolen kommt bereits zu dem Schluss, dass sich der Karriereverlauf von Autorinnen stark von dem der männlichen Autoren unterscheidet. Es gibt einen großen Zustrom von Autorinnen, aber der Karriereverlauf flacht viel schneller ab als bei männlichen Autoren. Letztlich kommen Frauen seltener auf Longlists, gewinnen weniger Preise, werden weniger besprochen und weniger und anders rezensiert. Auch von ‚Lebenswerk‘ oder ‚Genie‘ ist nie die Rede: Diese Begriffe sind den Männern vorbehalten.    Wenn Bücher von Autorinnen rezensiert werden, wird mehr darüber gesprochen, wie autobiografisch das Buch ist oder worum es geht, jedoch viel weniger über den Stil, viel weniger über die Form. Werke von Autorinnen werden auf eine andere Weise gelesen. In Studien, in denen Personen Blindtexte ohne Autorennamen lasen, dachten die Lesenden immer, dass die literarischsten Texte von Männern und die weniger literarischen von Frauen geschrieben worden sein müssen. Derselbe Text mit einem männlichen und einem weiblichen Namen darunter wurde als wichtiger und literarischer angesehen, wenn ein männlicher Name darunter stand.”

Wie kann die Gleichberechtigung in der Literatur gefördert werden?

“Wenn man die Menschen in der Gesellschaft möglichst breit ansprechen will, ist es eigentlich am besten, so vorzugehen, wie wir es in unserem Podcast ‚FixDit‘ über Klassiker, die von Frauen geschrieben wurden, tun, oder z. B. durch Zeitungsartikel oder öffentliche Auftritte. Alles, um die Qualität der Literatur von Frauen zu demonstrieren, indem wir Bücher vorstellen und zeigen, wie gut, aktuell, relevant und literarisch sie sind. Wir wollen, dass die Menschen erkennen, dass es immer noch eine große Menge an Literatur gibt, die sie übersehen. Indem man diese Werke in der allgemeinen kollektiven, kulturellen Welt immer wieder vorstellt, werden sie schließlich Teil des gesellschaftlichen Bewusstseins.““Zudem ist es wichtig, das Bewusstsein für die Gender-Ungleichheit in der Literatur schon in der Schulbildung zu schärfen, denn nur so kann sich eine neue Generation von Lesenden verändern. Eine größere Vielfalt im Buchbestand und in den Leselisten ist in dieser Hinsicht sehr wichtig. Sicherlich greifen Lehrer bei der klassischen Lektüreliste für z.B. Abschlussprüfungen auf das zurück, was sie früher selbst gelesen haben… meist Bücher von Männern. Die Mehrheit der Bücher hat eine männliche Erzählperspektive. Wir lernen in der Schule, was gute und großartige Literatur ist, und das sind alles diese männlichen Bücher, die wir dann als eine Art Messlatte dafür verwenden, was gut ist. Solange wir diese Messlatte nicht irgendwo ändern, wiederholen wir irgendwie dieses Muster. Und was sehr traurig ist: Mädchen lesen auf diese Weise aus beiden Perspektiven, aber Jungen lernen nie, die Welt durch die Augen von Frauen zu sehen, und bleiben so ihr ganzes Leben lang für die Hälfte der Realität blind.”

Inwiefern setzt sich FixDit für die Gleichstellung von Frauen in der Literatur ein?

“Mit verschiedenen Projekten wie dem FixDit-Podcast, Essays, offenen Briefen, Lesungen und Vorträgen wollen wir auf die Qualität der Literatur von Frauen aufmerksam machen und sie für sich selbst sprechen lassen. Unter anderem durch Projekte für literatuurgeschiedenis.org und den intensiven Kontakt mit PädagogInnen aller Art versuchen wir, den Buchbestand und die Leselisten mit Werken von Autorinnen zu erweitern.”“Bei unserer Residency in Berlin geht es um Internationalisierung, denn wir fragen uns: Wie sieht es außerhalb Europas aus? Was ist dort eigentlich für Autorinnen wichtig? Wie sieht es in all diesen anderen Ländern aus? Wir haben bereits ein nationales Manifest herausgegeben ‚Optimistische Wut‘. Wir wollen die Möglichkeiten für ein internationales Manifest und/oder einen internationalen Kongress ausloten. Nicht nur als Austausch von Fachwissen und dem, was wir alle tun, sondern auch als eine Art Netzwerk. Es gibt eine Menge informeller Netzwerke in allen möglichen sozialen Kontexten, die sehr alt sind und ein Old-Boys-Network bilden, in dem Frauen eigentlich per Definition viel seltener vertreten sind. Und es erschien uns interessant, eine Art weibliches Netzwerk aufzubauen, in dem man unter anderem auch Wissen austauschen kann. Jedes Mal, wenn ich meine Kolleginnen in internationalen Kontexten treffe, fällt mir auf, wie viel Wissen in all diesen Frauen steckt und wie viel wir davon eigentlich nicht wissen.”

Welche Möglichkeiten bietet eine Veranstaltung wie die Leipziger Buchmesse, um die Gleichstellung in der Literatur zu fördern?

“Ich denke, was jetzt bei der Leipziger Buchmesse eine Rolle spielt, ist, dass das Kuratorenteam durchgängig weiblich ist…. Und ich denke, dass [Anm. d. Red.: Diversität] auch bei der Zusammenstellung des Programms ein Schwerpunkt ist. Man sieht, dass sie wirklich eine andere Zusammensetzung der AutorInnengruppe anstreben. Ein weiterer Fokus des Programms ist die geschlechtsspezifische Vielfalt, die literarische Vielfalt im Allgemeinen…. und alles, was mit dem zu tun hat, was sie ganz allgemein als “engagierte Literatur” bezeichnen. Auch hier geht es um die Perspektive, darum, wer und wie welche Beziehung herstellt, und das war in Leipzig auf jeden Fall ein sehr bewusster Ansatz. Auch den ÜbersetzerInnen wird diesmal viel Aufmerksamkeit gewidmet, und das zu Recht: Sie sind ein wesentliches Glied in der literarischen Kette; vielleicht ist dieser Fokus auf alle Beteiligten im ‘Team’ um ein Buch auch weiblich.””Das spiegelt sich auch in der Zusammensetzung des Gleichgewichts in Debatten wider, wer mit wem am Tisch sitzt. Der klassische, gut gemeinte Denkfehler eines männlichen und weiblichen Duos, mit einem männlichen, etwas älteren, intellektuellen Autor und einer jüngeren weiblichen Debütantin daneben, wurde aufgelöst. Das ist eigentlich auch ein neues Vorurteil, das sich dann bestätigt. Das sieht man in dem Leipziger Programm nicht, das ist wirklich ganz anders. Und auch inhaltlich gibt es einige Programme, die sich wirklich auf Autorinnen konzentrieren, und wie sie schreiben, welche Themen, welche Perspektiven? Solche Dinge machen wiederum einen großen Unterschied…”

Was können die Lesenden selbst tun, um die Gleichstellung von Frauen in der Literatur zu fördern?

“Wir haben bei FixDit auch das Gebot, dass wir versuchen, immer wieder die Namen von Autorinnen zu erwähnen, damit sie dann auch auf diese Art und Weise Teil eines kollektiven Bewusstseins werden. Männer beziehen sich halt sehr oft auf Männer. Frauen beziehen sich auch sehr oft auf Männer, denn das macht einen viel glaubwürdiger oder so, oder im normalen kulturellen Kontext. Aber eigentlich ist es einfach gut, sich immer wieder auf Frauen zu beziehen. Achten Sie bewusst darauf. Wer sind Ihre Beispiele? Was sind die letzten drei Bücher, und die nächsten drei? Wir wollen mindestens zur Hälfte Frauen erwähnen. Zunächst ist das wirklich eine Denkaufgabe, denn das Erste, was einem einfällt, sind immer die gleichen Männer.””Verschenken Sie ein Buch, auch wenn es für einen Mann ist: Schenken Sie ein Buch einer Autorin. Verschenken Sie es oder empfehlen Literatur von Frauen. Empfehlen funktioniert einfach sehr gut.Und vor allem: Schauen Sie sich Ihr eigenes Bücherregal an, wie viel Prozent der Bücher sind von einer Frau geschrieben worden?“